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Lebenslauf des Christoffel vom Hengstacker |
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Danke, dass Sie mich hereingelassen haben. Erlauben Sie mir, mich
vorzustellen: Mein Name ist Christoffel, Christoffel vom Hengstacker.
Erlauben Sie, dass ich mich setze? Meine Füsse tun mir weh. Ich möchte
ja nicht unverschämt sein. Hätten Sie vielleicht einen Teller Suppe für
einen müden Wanderer? Ich muss zwar sagen, dass ich sie nicht bezahlen
kann, und auch zum Tauschen hab ich nichts. Was jedoch nicht heisst,
dass ich mit leeren Händen komme. Dinge habe ich im Gepäck, wertvolle
Dinge. Ich teile sie gerne mit Ihnen. Geben ist ja seliger denn nehmen,
bekanntlich. Sie werden staunen. Danke für die Suppe. Sie sind so
gut zu mir. Vergelts Gott. Soviel Edelmut labt mir mein darbendes Herz.
Es gibt ihn immer weniger heutzutage.
Jedes Jahr zu Martini machten wir uns den Fluss hinab auf den Weg zum Markt nach Alt-Rapperswil. Während unsere Eltern trotz der Novemberkälte unter ihren Lasten schwitzten, trieben wir Kinder tanzend und singend ein Schwein vor uns her. Ich sollte in die Rosenstadt kommen; ich war bei Albrecht, dem Marschall von Rapperswil verdingt worden. Als wir gegen Mittag durch das Hafentor schifften, hörten sie
Beim Marschall. Ich wurde freundlich aufgenommen in meinem neuen Zuhause und hatte bald neue Spielkameraden gefunden. Der Marschall war ein vornehmer Mann, stets sauber gekleidet und freundlich zu allen Leuten. Ich wartete ihm häufig auf, wenn in der herrschaftlichen Stube der Tisch mit Pergamenten bedeckt war und er mit Federkiel und Tintenfass bewaffnet arbeitete. Albrecht sagte, er würde mir noch das Lesen und schreiben beibringen und die italienische Kunst der Buchführung. Das hatte er Vater versprochen. Doch im Moment noch bestand meine Arbeit hauptsächlich darin, in der herrschaftlichen Stube still an der Wand zu warten, bis meine Dienste benötigt wurden. Dann brachte ich dem Marschall Speisen und Getränke oder weckte ihn, wenn er über seiner Arbeit eingeschlafen war.
Wernher von Hohenberg, der Graf zu Rapperswil war oft bei Marschalls zugegen. Trotz seines jugendlichen Alters war er eine imposante Erscheinung mit aufbrausendem Temperament. Ich musste den beiden die Lieder vorsingen, die mir der Marschall diktiert hatte. Besonders der Graf fand Gefallen daran und liess mir eine Fiedel geben, auf der ich nun jeden Tag zu üben hatte. Später liess er mich auch aufs Schloss rufen um an der gräflichen Tafel die Gäste zu unterhalten. Seit vor vielen Jahren der verstorbene Graf Ludwig von Homberg seine eigenen Minesteriale eingesetzt hatte, als er das Rapperswiler Erbe antrat, unterstand der eingesessenen Marschallsfamilie nur noch das Gebiet am oberen Zürichsee. Sobald ich gut genug schreiben konnte durfte ich ihn auf seinen Dienstreisen begleiten und führte die Listen nach. Einmal kamen wir nach nach Tuggen, einem Fischerdorf am Fuss des Buchbergs. Für mich war hier die Welt zu Ende. Als ich fragte, wer denn jenseits der Ebene leben würde, antwortete der Marschall, dort seien die Romanen, die ja doch niemand verstehen würde. Einzig die Mönche in Babinkova, einem Kloster, dass gerade noch erkennbar drüben am Fuss des Benkner Büchels liegt, sprächen noch unsere Sprache. Unterwegs besuchten wir meine Familie. Albrecht hatte für alle Schuhe machen lassen, ein kostbares Geschenk für arme Bauern.
In Aachen bei
Heinrich VII
So
machten wir uns auf den Weg nach Aachen. Im Tross war auch der Ritter Otto
zum Turm. Er war ein schweigsamer Mensch, ich glaube, ich habe ihn mehr
singen hören als reden. Vielleicht war er in Trauer, denn er trug
damals einen Bart, den er sich erst schor, als er vor den König trat.
Meinem Herrn musste ich ein neues Zimier machen, eins mit doppeltem Schwanenkopf. Das
ist nicht so einfach, sag ich Ihnen. Man braucht dazu mindestens vier
Schwäne. Den Kopf der ersten beiden legt man samt Hals und Schulter einige
Monate in einen Ameisenhaufen, bis nur noch der Schädel und die Knochen
übrig sind.
Dann
versteift man mit
Pech
und Weidenruten den Hals. Die grünen Weidenruten wässert man eine Woche
und flicht sie dann um den Knochen. Das ist das Schwierige am Ganzen.
Die bleiben erst in der Form, wenn sie trocken sind. Aber ich hab da so
meine Tricks. War ja auch nicht das erste Schwanen-Zimier von mir. Ich spann sie mit Lederriemen auf ein
Brett, das ich in die Form geschnitzt habe. Nach ein paar Wochen, wenn das
Ganze trocken und leicht ist, behält es dann auch die Form. Dann kommen
die Federn. Je mehr, desto besser, hab ich gemerkt. Es muss weisse Schwäne sein. Die dunkeln sind nur gut für den Spiess, aber wenn
man weiss wie, lässt sich auch aus einem weissen noch eine anständige
Suppe machen oder ein Ragout, man muss ihn halt einfach lange kochen, aber
nicht zu heiss, sonst wird das Fleisch trocken. Also Federn kann man nicht
genug nehmen. Und so ein Ragout aus vier Schwänen reicht für sicherlich
zwölf, je nachdem, ob man noch Rüben hat oder nicht. Und Rosmarin brauchts,
ich hab mal eine Staude aus Italien mitgebracht. Wernher mochte den
besonders.
Ach ja, die Federn. Die Klebt man lagenweise aufs Gestell um den hals und
verschnürt ihn kräftig. Auf keinen Fall Leder nehmen, sondern Bast. Sonst fällt
das Ganze auseinander, wenn’s regnet. Am Schwierigsten ist der Kopf. Da nehm` ich’s aus dem Untergefieder, aber nicht Daunen,
mehr die kurzen in der Mitte. Und Vogelleim. Das
hält. Und auch wieder gut verschnüren, bis es trocken ist. Und das
Ragout erst am Schluss salzen, sonst wird’s zäh.
Mensch,
was haben wir gesoffen beim König. Der hatte alten italienischen Wein. Ganz was
besonderes. Da kannst Du bechern eimerweise und kotzst nicht mal. Und am
andern Tag wieder Frisch wie der Tau auf der Wiese. Die haben da
natürlich Gans und Kapaun, nicht Schwan. Was gibt’s denn bei Ihnen so?
Also ich ess` um diese Zeit immer einen Happen.
Der
König Heinrich der Siebente hat uns auch so fürstlich bewirtet. Das ist
eben ein Mann von Welt, wie Ihr, Herr Burgherr! Hat meinem Wernher von Homberg aufgetragen, er möge im Talkessel von Schwyz und den Waldstätten
ein Heer ausheben für die Lumpardei. Dreitausend! Das ist viel (und
teuer)! Und Wernher hat höfeschlich zugesagt und gedankt. Steuern gabs da
ja wohl keine einzutreiben. Aber Söldner haben die, die
lassen Dir das Blut in den Adern erstarren schon beim Anblick. Stämmig
sind sie und mit Knüppeln bewaffnet und falls sie`s überleben, kommen sie
mit Dölchen und Halbarten wieder zurück. Es sei denn, einer habe
vielleicht eine Kriegssense oder einen Eisenhut schon vom Vater. Zum Reichsvogt hat er
meinen Herren Wernher auch gemacht. Und
gleich mal ein paar Schilling springen lassen.
Tod der Mutter Elisabeth 1309 Als wir zurück waren, starb
schon bald darauf die Gräfin Elisabeth, Wernhers Mutter. Da gings gleich
weiter mit dem Saufen. So eine Beerdigung hatte ich noch nie erlebt,
nicht vorher und nicht nachher. Die ganze Stadt war auf den Beinen.
Elisabeth hatte ja auch zu Lebzeiten schon zu feiern gewusst. Auf der
Fahrt hatte ich alle Lieder Ottos auswendig gelernt und
aufgeschrieben. Er hatte seine Freude daran, er konnte ja selber nicht
schreiben. Die Nachfahren von Rüdiger Manesse aus Zürich sind ja
jetzt fertig mit ihrer Liedersammlung. Er selbst ist 1304 gestorben und hat das
ja nicht mehr miterlebt. Ich hab natürlich auch meinen Teil dazu beigetragen. Die
Oettingener Nonnen in Zürich mussten es nur noch abschreiben. Wegen mir haben
sie jetzt auch die Lieder von Wernher, Otto und dem Marschall. Die
Lieder haben`s aber auch
verdient, sind wirklich gut, ich weiss ja, von was ich rede.
Nun ja, die eine oder andere Zeile musste ich schon noch etwas
zurechtschleifen. Das ist natürlich etwas anderes, wenn man schreiben
kann. Das gibt einem den Überblick.
1310 im königlichen Tross nach Italien
Im Oktober machten wir uns dann auf den Weg nach Italien. Ich bin Seite
an Seite geritten mit König Heinrich, Wernher von Homberg, dem Grafen
Rudolf und Otto zum Turm. Und Herzog Leopold war auch mit dabei. Darf
ich fragen, wie Sie zu ihm stehen, seit Ludwig der Bayer auf dem Thron
ist, meine ich? Aha. Unter uns, das ist eine ganz abgekochte Sau.
Vornherum sich einschmeicheln beim König. Aber wir wussten natürlich
ganz genau, dass der viel lieber seinen älteren Bruder,
Friedrich den Schönen, auf dem Thron gesehen hätte. Dann hätte er selber
nämlich auch das Sagen gehabt. Hat
mich behandelt wie den letzten Dreck. Ein edler Herr geht anständiger um
mit dem Gesinde, erst recht, wenn es schreiben kann und Zimiere
flechten.
Morgarten Nov 1315 Ich mag die
Schwyzer. Sie sind von einem rauhen Schlag, aber ihre Geschichten sind
gut. Wie gerne hätte ich mich ihnen damals angeschlossen und in fernen
Ländern Abenteuer erlebt. Auch wenn manchem eine Hand oder ein Auge
fehlte. So etwas gehört dazu beim Ryslaufen. Das ist jetzt eine ganz
neue Mode: man schliesst sich einem bewaffneten Haufen an und geht in
fremde Dienste nach Italien. Wie gesagt, ich hab mich
immer gut verstanden mit denen. Aber diesmal waren sie einfach zu weit
gegangen. Waren mir nichts, dir nichts nach Einsiedeln marschiert und
hatten dort das Kloster geplündert und sogar einige Mönche mitgenommen.
Die hatten sie zwar bald wieder auf freien Fuss gesetzt, aber trotzdem.
Sie müssen wissen, das Kloster Einsiedeln steht unter Habsburger Schutz.
Und wenn auch die Pfaffen ihr Vieh unterm Zaun durchgrasen liessen,
interessierte die Habsburger das wenig. Wenn man bedenkt, was das für
ein Licht auf uns Rapperswiler warf! Es waren doch immerhin unsere
Schwyzer, die da geweihte Erde geschändet hatten. Als die Nachricht kam,
hatte ich gerade Dienst auf der Burg. Ich werde nie verstehen können,
weshalb die Herrschaft
daraufhin den besten Wein aus dem Keller bringen liess und den Boten,
der sich übrigens -falls überhaupt jemals- gewiss seit Monaten nicht gewaschen hatte, nicht nur
fürstlich bewirtete, sondern anderntags, nachdem alle ihre Räusche
ausgeschlafen hatten, mit einem Glückwunschpergament zurück in die
inneren Lande schickten. Noch Tage danach waren Wernher und sein
Stiefvater Rudolf bester Laune und voller Tatendrang.
Man müsste meinen, als
Minnesänger ist
man Zeit Lebens nur unglücklich verliebt. Aber das muss nicht für alle
gelten. Mindestens für meinen Herrn nicht. Anno Domini 1315 heiratete
Wernher eben die Frau, die er viele Jahre lang vergeblich liebte und der
er seine Liebe obendrein erst nach dem Tod seines Stiefvaters im offen
zeigen durfte. Maria von Oettelfingen, bildschön und dreizehn Jahre
jünger als Wernher von Homberg,
Maria war
als Gemahlin Rudolfs nämlich dessen Stiefmutter gewesen. Wenn Sie mich
fragen, hatte sie schon längere Zeit ein Auge auf den jungen
Deutschritter geworfen. Zur
Hochzeit waren über100 weitgereiste Gäste geladen. Unsere kleine Stadt
quoll über von all den Gästen, deshalb mussten viele ausserhalb in
Zelten untergebracht werden. Ausgelassen feierten wir eine ganze Woche
mit gutem Essen, Wein, Weibern und einem Turnier zu Ehren der Hohen
Dame. Auch der Bischof von Konstanz war unter den Gästen, um die Trauung
zu vollziehen. Und als im folgenden Sommer verkündet wurde, die Gräfin
sei in guter Hoffnung (mein Herr war eben ein ganzer Kerl), schien der
hoffnungsvollen Zukunft auch des Hauses nichts im Wege zu stehen.
Italienfahrt 1318 und Tod vor Genua 1320
Im März 1319 brachen wir erneut nach Italien auf. Der Feldzug
verlief recht erfolgreich, doch dann fand 1320 mein von allen geliebter
Graf vor Genua den Tod. Man hat schon gehört, dass er an Malaria
gestorben sei, aber dass stimmt nicht. Fragen Sie mich, wenn Sie`s genau
wissen wollen! Denn ich war bei ihm und hab ihn seine Wunden versorgt,
die er sich in heldenhaftem Kampf zugezogen hatte. Wie er auf dem
Sterbebett lag, rief er mich zu sich und sagte mir mit versagender
Stimme „Christoffel“,sagte er, „Christoffel, mein treuer Diener! Hast Du
all meine Lieder aufgeschrieben?“ – „Ja, mein Herr“,gab ich ihm zur
Antwort, „es fehlt nicht eines.“
– „So gehe zurück in die Heimat und
bringe sie dem Herrn Rüdiger Manesse nach Zürich, damit er`s in
seine Sammlung aufnehme!“
Der
Graf hatte seinen Sohn Wernli nie richtig kennengelernt, und als dieser
mit nur acht Jahren von Gott zu Sich berufen wurde, starb die Linie aus.
Ich werde den Anblick des Trauerzugs nie vergessen können, allen voran
das gräfliche Wappen, verkehrt herum, mit der Spitze nach oben.
Hats noch Wein...?
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